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Mittelstandsforum: Landwirtschaft in der Krise

Landwirtschaft in der Krise: Bürokratie und Ideologie ablegen und zukunftsorientierte Rahmenbedingungen schaffen in der Krise

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion der Städte Neukirchen-Vluyn und Moers hatten die Mitglieder und die Landwirte des Kreises Wesel zu einem Vortrag der Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Silke Gorißen, in die Kulturhallte in Vluyn eingeladen. Die Volksbank  e.G. unter  Guido Lohmann war mit im Boot und unterstützte die Veranstaltung. Alle Gäste konnten zu einem Grünkohlessen mit Kassler und Mettwurst eingeladen werden. Wehmutstropfen: Die Ministerin sagte zwei Tage vor dem Termin ihre Teilnahme wegen Erkrankung ab.

 

Mittelstand zeichnet sich dadurch aus, dass Problemlösungen gesucht und auch gefunden werden. Die Lücke wurde mit dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes Dr. Bernd Lüttgens geschlossen. Zahlreiche Ehrengäste zeigten durch ihre Teilnahme, wie bedrohlich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der Landwirtschaft ist. So waren gekommen: der Landrat des Kreises Wesel, Ingo Brohl, der Bürgermeister der Stadt Neukirchen-Vluyn, Ralf Köpke, die stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Moers, Claudia van Dyk, von der Volksbank Niederrhein Wolfgang van Bebber, der Vorsitzende der Kreisbauernschaft Wesel, Johannes Leuchtenberg, der Vorsitzende der Waldbauern im Kreis Wesel, Reinhard Krebber, vom Rheinischen Landfrauenverband Regina Schauten, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Kreistag Wesel, Frank Berger, die Fraktionsvorsitzende der CDU im Rat der Stadt Moers, Petra Kiehn und der Fraktionsvorsitzende der CDU im Rat der Stadt Neukirchen-Vluyn, Markus Nacke.

 

Michael Darda, als stellvertretender Vorsitzender führte in das Thema ein. Dabei kritisierte er die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland als einst führende Wirtschaft im Allgemeinen und die Situation der Landwirtschaft im Besonderen: „In unserem Staat ist Einiges faul. Nicht erst seit dem die Ampel in Berlin das Sagen hat, mit ihr hat sich nur das Tempo der Fehlentscheidungen erhöht. Auch in den 16 Jahren unter Angela Merkel hätte – bei objektiver Nachbetrachtung – vieles besser gemacht werden müssen. Dem Fachkräftemangel zum Beispiel wurde nicht konsequent begegnet. Die CDU hatte in ihrer Mannschaft das Wissen gehabt, was  zu tun ist. Sie hat es aber nicht angewendet. Einige Entscheidungen aus Düsseldorf (und da ist nun mal aktuell Schwarz/Grün am Ruder) hätten auch besser getroffen werden müssen. Ich will heute Abend die Kiesdebatte nicht zum Thema machen, aber sie betrifft nun mal alle, die wir im Kreis Wesel wohnen und im Besonderen die Landwirte.  Ich persönlich finde die aktuellen politischen Entscheidungen mit dem Ergebnis weiter so „grob fahrlässig“ wenn nicht gar „vorsätzlich falsch“. Mir wurde öfter schon die zweideutige Frage gestellt, wer denn wem hier was versprochen oder gegeben hat, damit der Kiesindustrie der rote Teppich ausgerollt bleibt? 

 

Wir haben keine Not – im Moment. Vorräte sind noch genug vorhanden. Es könnte also in Ruhe die Planung durchdacht und klug überarbeitet werden. Klugheit vermisse ich aber bei den Entscheidungen im Land NRW und beim Regionalverband Ruhr. 

Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten sehenden Auges in Abhängigkeiten vom außereuropäischen Ausland begeben. Unser Knowhow wurde unkontrolliert an China und an andere Länder übertragen. Jetzt  laufen dort die Produktionsprozesse und wir wundern uns, dass wir zum Beispiel bei der  ärztlichen Versorgung mit Medikamenten oder bei vielen wichtigsten Zubehörteilen für die Wirtschaft und die Industrie kapitulieren müssen. Wir sind erpressbar geworden. 

 

Im Bereich der Energie haben wir auch nichts mehr zu melden. Unsere Energiequellen machen wir dicht, ohne eine Alternative zu haben. Auch dort sind wir höchst angreifbar geworden. Putin lässt es uns jeden Tag wissen. Made in Germany, ein Qualitätsmerkmal vergangener Zeit ist jetzt Made in China.

 

Aktuell gefährden wir die Eigenversorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten, also mit Lebensmitteln. Unsere Landwirte sind bereits jetzt nicht mehr in der Lage uns alle zu versorgen. Ich glaube 80 % des heimischen Bedarfs können wir noch abdecken, also 1/5. Nicht mehr. 

 

Die, die das ändern könnten, werden von Dritten an den Pranger gestellt: Unsere Landwirte. Sie werden an Ihrem Tun gehindert. Bürokratie und Ideologie sind die Stichworte. Niemand ersetzt angemessen unseren Erzeugern den Aufwand für die vorzunehmenden Aufzeichnungen, für den Landschaftsschutz, die Landschaftspflege und für das Tierwohl. Den Dumpingpreisen aus dem außereuropäischen Ausland kann nicht begegnet werden. Die Produzenten aus den weit entfernten Ländern kennen die Kosten der Bürokratie und der Ideologie nicht. Sie können ganz anders anbieten. Mit immer wieder neuen Problemen und Gesetzen müssen sich die heimischen Bauern auseinandersetzen. 

Ich möchte keinesfalls die Verantwortung nur auf die deutsche Politik schieben. Nein. Auch das Europäische Parlament ist für so manche Schweinerei verantwortlich. Ich hätte mich gefreut, wenn auch der ehemalige Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz heute zu uns gekommen wäre. 

 

Meine Damen und Herren, die Lebensmittelindustrie und ganz besonders der Lebensmitteleinzelhandel, der von den vier Großen – Aldi, Lidl, REWE und EDEKA – dominiert wird (in meinen Augen fast ein Monopol), beherrschen den Handelsmarkt mit landwirtschaftlichen Produkten. 

Diese Großen tun alles, um ihre Margen zu Lasten der Erzeuger, also der Landwirte zu verbessern. Diese Großen dürfen immer noch größer werden. Sie erinnern sich alle, dass im Jahre 2016 der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel durch eine Ministerentscheidung, die Fusion von Tengelmann mit EDEKA genehmigte, obwohl das Bundes-kartellamt „Nein“ dazu gesagt hatte. Ich habe vor vier Jahren etwa mit Andreas Mundt, dem Präsidenten des Bundeskartellamtes, darüber geschrieben. 

 

Und schließlich, meine Damen und Herren,  fassen wir uns alle an die eigene Nase. Auch wir als Verbraucher erwarten nur die günstigsten Produkte. Je billiger die Produkte angeboten werden, desto mehr wächst unsere Freundschaft zu den Lebensmittelkonzernen. Das sind die wirklichen Guten, denken wir. Sie bieten mir ja auch noch Kaffeemaschinen, Eierkocher sowie Autozubehör – und das alles aus einer Hand. 

Merken Sie, worum es hier geht? Einer muss für uns alle den Rücken beugen. Die heimischen Bauern. Sie bücken sich immer weiter, bis es nicht mehr geht, bis dass sie am Boden liegen. Das Höfe-Sterben ist die Folge. Schauen Sie sich in Neukirchen-Vluyn um. Wo wir noch aktiv Land-wirtschaft betrieben? Sie werden große Lücken finden. 

 

Und jetzt kommt die Moral von der Geschichte: Die landwirtschaftlichen Flächen, die dann zum Verkauf stehen, werden von Investoren und Spekulanten, aber auch von Stiftungen wie z.B die von Aldi erworben. 2020 ging durch die Presse, dass der ehemalige thüringische Bauernpräsident Klaus Kliem, ein Funktionär des Deutschen Bauernverbandes, seine Ländereien an die Lukas-Stiftung von Aldi verkauft hat.  6000 ha sollen dieser Stiftung zuzuschreiben sein. Wenn die Bauern ihr Eigentum abgeben und andere Bauern stattdessen Flächen hinzupachten müssen, um ihrer Tätigkeit weiter nachgehen zu können, spüren sie die Abhängigkeit durch das Diktat der Pachtpreise. 

Ich bin mir sicher, dass Dr. Bernd Lüttgens noch viel mehr dazu sagen kann. Ich will nicht weiter vorgreifen.

 

Liebe Landwirtinnen und Landwirte, ich teile Ihren Zorn. Ihre Wut. Ihre Ohnmacht. Viel öfter und das stetig, müssen die Gefahren und die Ungerechtigkeiten, die sich aus der Entwicklung der letzten Jahre für Sie ergeben, an die Öffentlichkeit. Auch deswegen, wäre es falsche gewesen wegen der Erkrankung der Ministerin die Veranstaltung abzusagen. Die kranke Ministerin steht in einigen Tagen wieder auf der Bühne. Der kranken Landwirtschaft hilft das aber nicht. Deshalb müssen wir darüber reden und das öffentlich machen.

Die Presse ist ja zum Termin gekommen. Und sie wird sicher objektiv berichten.”

 

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes, Dr. Bernd Lüttgens, bestätige durch seinen detailreichen Vortrag viele von den seitens Michael Dardas vorgetragenen Einschätzungen. Auch er hat seine Erfahrungen mit der fachlichen Eignung mancher Politiker machen müssen und bedauere, dass zu wenige Landwirte bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen. So ist es möglich, dass die vielfach sachlich falschen Weichenstellungen den Markt der Landwirtschaft belasten. 

 

Der promovierte Diplom-Agraringenieur stellt die Landwirtschaft als eine Branche in einer Krise dar. Auf der einen Seite verweist der 50-jährige in seinem Vortrag auf die Betriebsergebnisse für das Jahr 2021, die nach jahrelangen negativen Betriebsergebnissen wieder positiv gewesen seien. Gleichzeitig spricht er aber auch die niedrige Investitionsquote an. Diese sieht Lüttgens durch eine Landwirtschaftspolitik auf europäischer, bundesdeutscher und landesweiter Ebene verursacht, die nicht verlässlich sei und keine langfristige Perspektive habe. 

 

Lüttgens macht Zielkonflikte und Abhängigkeiten deutlich, in der die Landwirtschaft zwischen Nahrungsherstellung und Energieerzeugung, Ernährungssicherheit, Landschaftsschutz, günstigen Lebensmittelpreisen und Tierwohl stehe und spricht sich dafür aus, auf Innovationen und Wandel zu setzen: „Leider traut sich niemand von denen, die es müssten, Verantwortung zu übernehmen“. Damit analysierte er gleichzeitig das Verhalten von Politik und Verwaltungen, keine perspektivischen Entscheidungen zu treffen.

 

Dem Vortrag von Dr. Bernd Lüttgens folgte eine rege Diskussion, in der Landwirte ihre Sorgen vortrugen. Theo Zerbe, Milchbauer an der Grenze des Kamp-Lintforter Stadtteils Saalhoff und des Rheinberger Stadtteils Alpsray, berichtete beispielsweise von lukrativen Angeboten von Unternehmen, die landwirtschaftlichen Flächen großräumig mit Photovoltaikanlagen zu versehen, um Strom zu erzeugen. Diese Flächen fehlen dann aber den Landwirten für ihre eigentlichen Aufgaben.  

Dr. Lüttgens sagte, es gäbe unterschiedliche Prognosen, ob das sinnvoller sei, als der Anbau von Biomasse. Solarstrom stehe insbesondere im Sommer zur Verfügung, aber was mache man im Winter? Aus der Biomasse kann in Biogasanlagen Methangas gewonnen werden. Das lässt sich leichter speichern. Ein klarer Vorteil gegenüber dem Solarstrom. „Es gibt zu wenig Wissen und zu viel Meinung in der Landwirtschaftspolitik. Andersherum wäre es besser“, lautet Lüttgens Resümee.

 

Im Schlusswort bedankte sich Jörn Becker, Vorsitzender der MIT Moers, bei Dr. Lüttgens für sein Kommen und für seinen kompetenten Vortrag. Er überreichte ihm das Buch von Dr. Carsten Linnemann mit dem Titel „Die ticken doch nicht richtig“; eine Anspielung auf so manche Entscheidungen aus der Politik.

 

Info: Landwirtschaftsminister

Jochen Borchert

Die Landwirte nannten währen der regen Diskussionsrunde mehrfach den Namen Jochen Borchert, der der letzte kompetente Landwirtschaftsminister auf Bundes- und Landesebene gewesen sei. Der Agraringenieur und Diplom-Ökonom war von 1993 bis 1998 Bundeslandwirtschaftsminister im Kabinett Kohl IV gewesen.

 

Julia Klöckner

Deutlich kritischer wurde Julia Klöckner bewertet, die im Weinbau an der Nahe groß geworden ist. Sie war von Anfang 2018 bis Ende 2021 fast vier Jahr lang die Bundeslandwirtschaftsministerin, die letzte aus Reihen der CDU. Auch ihre vier CSU-Vorgänger in der 16-jährigen Merkel-Zeit wurden kritisiert.